Sehen und gesehen werden

Ich pendele selbst täglich mit dem Rad zur Arbeit. Mittlerweile ist es morgens noch zappenduster, wenn ich unterwegs bin. Neulich traf ich einen in schwarz gekleideten Radfahrer auf einem Rennrad, ohne Beleuchtung und ohne Rückstrahler. I bemerkte ihn nur, weil seine Umrisse das Licht der Straßenlaternen auf der regennassen Fahrbahn verdeckte. Es graupelte nur und die Scheibenwischer ließen das Wasser lange auf der Windschutzscheibe stehen. Dadurch wird das einfallende Licht so gebrochen, dass jedes bisschen Licht dass von dieser Person zurückgestrahlt werden könnte im allgemeinen Rauschen untergeht. Sein Outfit und mangelnde Beleuchtung bei diesen LIchtverhältnissen grenzt an Selbstmord.

Die Sicherheit von Zweiradfahrern im Verkehr hängt zu einem Großteil von deren Sichtbarkeit ab.

Wie sichtbar wir für andere sind hängt von zwei Faktoren ab:

Der Kontrast deiner Kleidung zu deiner Umgebung

Tarnkleidung funktioniert, indem sie möglichst genau deine unmittelbare Umgebung widerspiegelt. Durch das Angleichen der Farben und Muster zu deiner Umgebung, wir es für andere schwieriger dich zu sehen und zu bemerken.
Wenn es also kaum Licht gibt und du dich passend dunkel kleidest, hast du dich effektiv getarnt.

Das Licht, das du reflektierst

Ein Sprichwort sagt: "Nachts sind alle Katzen grau." Das spielt darauf an, dass die Farbwarnehmung unserer Augen mit schwindendem LIcht abnimmt. Wir können dann nur noch unterschieden, ob eine Farbe mehr LIcht absorbiert oder mehr reflektiert. Sprich bei schwacher Beleuchtung fällt ein großer Faktor für die Kontrastwahrnehmung - Farbe - komplett raus. Das macht es für uns umso schwieriger andere unbeleuchtete Verkehrsteilnehmer oder auch Hindernisse zu entdecken.

Personen, die komplett schwarz gekleidet sind, sind bei Dunkelkeit quasi nicht zu erkennen (Ninja). Mit etwas Glück kann man sie entdecken, weil sie eine Lichtquelle hinter ihnen verdecken.

Blau und Rot sind Farben am Ende unseres Sichtspektrums und sind daher für uns nur schwer zu erkennen. Unsere Augen sind eher für Grün- und Gelbtöne gebaut und wir können diese schon auf die doppelte Entfernung von Blautönen ausmachen. Weiße Kleidung absorbiert nur wenig Licht und ist deswegen für uns noch leichter erkennbar.

Das Interessante sind Reflektoren. Trotz ansonsten dunkler Kleidung verdoppeln sie die Distanz ab der man die Person wahrnehmen kann. Das funktioniert, weil sie wie eine eigenständige Lichtquelle wirken.
Eigenständige Beleuchtung multipliziert diese Entfernung nochmals. Beleuchtung hat eine relative kurze effektive (aktive) Reichweite, in der du damit etwas sehen kannst, aber eine sehr hohe (passive) Reichweite, in der es von anderen gesehen werden kann. Das kann bei guten Lampen bis in den Kilometerbereich gehen.

Bei all diesen Angaben musst du stets bedenken, dass diese für optimale Bedingungen gelten. Niederschlag oder Nebel kann diese Entfernungen drastisch reduzieren.

Ich sehe was das du nicht siehst

Ein dritter großer Einflussfaktor auf die Sichtbarkeit ist, wie sich unsere Augen auf die Lichtverhältnisse einstellen. Stell dir vor du kommst von einem hell erleuchteten Raum in einen sehr dunklen Raum und der Lichtschalter ist kaputt. Also bleibst du erstmal stehen und wartest bis sich deine Augen an die LIchtverhältnisse gewöhnt haben und du deine Umgebung erkennen kannst. Dann kommt eine andere Person mit einer Taschenlampe in den Raum. Diese Person kann im Schein der Taschenlampe alles gut erkennen, allerdings sieht sie dich erst, wenn du in den Lichtkegel springst und sie zu Tode erschreckst.

Genauso verhält es sich im Straßenverkehr. Deine Augen mögen sich der Dunkelheit angepasst haben und du kannst auch einigermaßen deine Umgebung erkennen. So gut sogar, dass du sicher bist, dass ein Autofahrer dich auf jeden Fall sehen muss.
Der Autofahrer ist aber die Person mit der Taschenlampe. Seine Augen sind an das Licht seiner Scheinwerfer angepasst und alles außerhalb des Lichtkegels erscheint umso dunkler. Zudem ist seine Aufmerksamkeit auf die Straße fokussiert. Wenn du also vor seinem Auto unbedingt noch über die Straße willst, kann es sein, dass er dich nicht zu spät sieht und sein Auto nicht rechtzeitig abbremsen kann.

Bremsweg

Der Bremsweg setzt sich auch zwei Teilstücken zusammen:

  1. Der Reaktionsweg - die Strecke die das Auto zurücklegt bis der Fahrer auf die Bremse tritt. Das dauert im Schnitt 1s.
  2. Der Anhalteweg - die Strecke, die das Fahrzeug während des Abbremsens zurücklegt bis es zum Stillstand kommt.

Beide diese Strecken sind von der Geschwindigkeit des Fahrzeugs abhängig.

  1. Reaktionsweg d1 [m] = Geschwindigkeit [km/h] / 3,6
  2. Anhalteweg d2 [m] = Geschwindigkeit [km/h] / 10 x Geschwindigkeit [km/h] / 10

Ein Beispiel:
Ein Auto fährt mit 30 km/h.
d1= 30 / 3,6 = 8,3m
d2= 30/10 x 30/10 = 9m
Der Bremsweg ist also 17,3m

Geschwindigkeit [km/h]d1 [m]d2 [m]Bremsweg [m]
308.3917.3
5013.82548.8
7019.44968.4
902581106
11030.5121151.5
Bremsweg für verschiedene Geschwindigkeiten

Wenn man diese Bremswege mit den Entfernungen für Sichtbarkeit darüber vergleicht, wird schnell klar, dass der Fahrer eines Fahrzeugs mit 50km/h selbst eine gelb gekleidete Person zu spät sehen würde um rechtzeitig anzuhalten. Wetter kann nicht nur die Sichtbarkeit reduzieren, sondern auch den Bremsweg verlängern. Verschiedene Straßenoberflächen können auch einen Einfluss auf den Bremsweg haben.

Sei nicht dumm

Kleide dich so, dass du gut sichtbar bist. Wenn dein Outfit pechschwarz ist, verwende reflektierende Westen oder Bänder. Rüste dein Rad mit Rückstrahlern vorne und hinten sowie an den Speichen aus.

Beleuchtungstechnik hat einen großen Sprung gemacht.
Heute gib es keinen Grund mehr KEINE Beleuchtung am Rad zu haben.

Klein, leicht, kompakt, einfach zu befestigen und über USB aufzuladen. Einen Satz minimalistischer LED-Lampen gibt es ab 10EUR. Diese taugen nicht viel als Sichthilfe, aber ihr LIcht ist weithin sichtbar. Stelle sicher dass deine Lampen an deinem Rad befestigt werden können. Eine in der Hand gehaltene Taschenlampe behindert dich beim Bremsen und Lenken.
Um 50EUR gibt es solide Lampensets mit guter Leuchtdauer und ausreichend Licht, um auch unbekannte Wege sicher zu bewältigen. Wie mit allem gibt es auch hier nach oben keine Grenze. Du kannst veritable Flutlichter mit stundenlanger Leuchtdauer kaufen - die dir wahrscheinlich ein Loch in den Gelbeutel brennen.

Natürlich ist auch dynamo-getriebene Beleuchtung eine gute Lösung, wenn sie denn funktioniert und auch genutzt wird. Die Tage durchrutschender Seitenläuferdynamos mit gigantischen Widerstand sind lange vorbei. Nabendynamos drehen mit kaum merklichen Widerstand und sind zudem zuverlässiger. Bei niedrigen Geschwindigkeiten trennt sich allerdings auch hier die Spreu vom Weizen.

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